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Tanja in Moskau. Sankt Petersburg und wieder zurück. (Teil 2)

Auf unserer Reise im Nachtzug nach Petersburg hatten wir zum Glück angenehmere Nachbarn, auch keine Rekordschnarcher, Hockeymannschaften, Bonbonschmuggler oder Mitreisende mit einem Eimer voller Innereien als Reiseproviant, was auf solchen Zugfahrten prinzipiell alles vorkommen kann. So verlief trotz des Reisefiebers alles unspektakulär. Dass ich zu lange nicht mehr so gereist bin, zeigte sich daran, dass auch ich lange brauchte um herauszufinden, wie der Wasserhahn im Klo zu öffnen ist. Es wurde gestrickt und Halstee getrunken, denn die Versorgung mit heißem Teewasser funktioniert in russischen Zügen zuverlässig.

Das „nördliche Venedig“ empfing uns mit für diese Breiten typischem stürmischem Wetter bei ca. 5 Grad, so dass sämtliche meiner Winterklamotten noch einmal ausgeführt werden konnten, bevor sie nach Stuttgart abtransportiert und nach 4 Monaten strapazierender Handwäsche endlich mal wieder in den Genuss einer Waschmaschine kamen. Gegen nasse Füße mussten spezielle Maßnahmen ergriffen werden. Nach der Ankunft und einem schwierigen Fußmarsch zu unserer Unterkunft, einem Franziskanerkloster mit internationaler Ikea-Bettwäsche, Heizlüfter und gut funktionierender Dusche gab es aber zum Glück keinen Regen mehr, so dass wir unser ehrgeiziges Touristenprogramm nahezu ungehindert durchziehen konnten. Dieses bestand darin, in nur zwei Tagen die gesamte Innenstadt inklusive Peter-und-Paul-Festung und mehrerer Kirchen zu besichtigen, eine Bootsfahrt auf den Kanälen zu machen, die – man höre und staune – auch für ausländische Studenten kostenlose Eremitage zu besuchen, nach Peterhof, der Sommerresidenz der Zaren am Finnischen Meerbusen zu fahren und in Zarskoje Selo, das seit 1937 Puschkin heißt, das mysteriöse Bernsteinzimmer anzusehen. Lediglich von den zwischen zwei und fünf Uhr morgens geöffneten Brücken, einer weiteren Attraktion der Stadt (wenn auch eher bei wärmeren Wetter und während der weißen Nächte) konnten wir nicht einmal mehr träumen vor lauter Erschöpfung.

Unser treuer Begleiter bei all diesen Unternehmungen war der von meiner Wohnheimgenossin Lucie geliehene Routard, der anders als viele deutsche Reiseführer Moskau und Sankt Petersburg in einem Band bietet und dazu noch alle Umgebungsausflüge mit nützlichen Informationen von den Nummern und Abfahrtsorten der Marschrutka genannten Kleinbusse bis zu Einkehrmöglichkeiten, die wir selbstverständlich auch ausprobiert haben.

Der Meridian Moskau hatte spätestens dann verspielt, als wir feststellten, dass auf den Stadtplänen diverse nicht erst gestern gebaute Moskauer Brücken nicht eingezeichnet sind. Außerdem scheinen viele Reiseführerautoren was Moskau angeht ganz dreist von einander abzuschreiben. Es würde mich interessieren, wie viele Leute einen Reiseführer besitzen, in dem der Satz „Und manchmal tanzt Mama Soja, die Besitzerin, durchs Restaurant“ steht – und wie viele davon eine solche Szene im gleichnamigen georgischen Restaurant tatsächlich schon einmal erlebt haben. Aber das nur am Rande. Und das Essen, vor allem die unzähligen vegetarischen und mit Granatapfelkörnern dekorierten Vorspeisen und frischgebackenen Brote sind natürlich köstlich, auch wenn ein schwankendes Schiff die Nahrungsaufnahme etwas erschweren kann.

Der Routard erwies sich jedenfalls als nützliche Lektüre in Warteschlangen und als Material zum Vom-Blatt-Übersetzen-bis-zum-Übelwerden auf rasanten Marschrutka-Fahrten zu den o.g. Ausflugsorten. Wenn man als „Individualreisender“ in diesen Schlössern unterwegs ist, wird man zwischen Hansa-Kreuzfahrten und anderen hilflosen Rentnerreisegruppen durch die Säle geschoben, von denen vor lauter Pracht bald einer wie der andere aussieht. Mit dem Routard in der Hand landet man auch mal in einer französischen Führung, was für Tanja mitunter ergiebiger war als mein Flüstersimultan.

Im wunderschönen Peterhof war im Gegensatz zu Moskau (und dem osmanischen Reich kurz vor seinem Untergang) die Tulpenzeit noch nicht angebrochen. Aber die Kombination aus Ostseestrand, russischen Birken und Versailles entschädigt für die Kahlheit des Parks. Und nach dem sich zwei Männer in Tarnanzügen an einem Schacht zu schaffen machten, gingen um elf Uhr untermalt von klassischer Musik die berühmten Fontänen an.

Später kam es in der Nähe eines Fischteiches zu einem Erlebnis, dass ich so schnell nicht vergessen werde: ich wurde von einem Eichhörnchen angefallen! Bis dahin gehörten diese eigentlich scheuen Wesen zu meinen absoluten Lieblingstieren und dementsprechend freute ich mich, dass eines sich bereitwillig von Tanja photographieren ließ und nicht bei der kleinsten Bewegung im nächsten Baum verschwunden ist. Als es aber plötzlich mit einem Satz auf mein Knie sprang und mir klar wurde, dass es zwei Sekunden später mir im Gesicht sitzen könnte, habe ich mich gehörig erschreckt. Spätestens als uns am Nachtmittag auch im Schlosspark von Zarskoje Selo ein Eichhörnchen zielstrebig entgegengerannte, kam mir der so gut wie menschenleere Park samt der heimischen Tierwelt wie verwunschen vor und ich begann mit vor jeder vorüberschwimmenden Ente und jedem heranfliegenden Spatz zu fürchten.

Zu den sechs Tonnen Bernstein in Form von Wandvertäfelungen kann ich übrigens nur sagen, dass es sicherlich spannender ist, sich weiterhin wie ein Kind zu fragen, wie denn ein ganzes Zimmer einfach verschwinden kann und wie und wo irgendjemand das wiederfinden will, so wie ich es bis vor nicht allzu langer Zeit getan habe.

In der Eremitage fanden wir zu unserer Freude ein Bild der Sainte Victoire, die Tanja und ich vor gut zwei Jahren, als ich mir von ihr Aix-en-Provence und die Umgebung zeigen ließ, erklommen haben (Bergkundige mögen diese Wortwahl für eine leichte Übertreibung halten).

Wieder in Moskau angekommen, mussten wir erst mal drei Runden Ringbahn fahren, um das Schlafdefizit der Zugfahrt auszugleichen. Da wir schon unter der Erde waren, folgte die obligatorische Tour durch die schönsten Metrostationen, bis es endlich sieben oder acht Uhr war, und wir in einer der vielen „Kofe Chaus“-Filialen (in etwa das russische Starbucks) ein Frühstücksangebot ohne Haken bekamen. Vorher mussten wir allerdings eine große Straße, das obere Ende der Twerskaja, überqueren, was uns vor Schreck beinahe das Leben gekostet hätte.

Ein weiterer Programmpunkt in Moskau war der Besuch des Lenin-Mausoleums, eine Art Geisterbahn auf dem Roten Platz. In diesem Kasten ist es so dunkel, dass man beinahe die Treppen runterfällt, und im schwarzen Marmor spiegeln sich die unheimlichen Wachen, die eine Spezialausbildung erhalten haben müssen. Diese besteht offenbar darin besteht, kein Wort zu sagen, auf Fragen nicht zu antworten, aufdringlichen Blicken auszuweichen und die Besucher mit in Zeitlupe ausgestreckten Armen durch die Gänge und um den Glaskasten zu weisen, in dem Uljanow oder die Wachspuppe aufgebahrt liegt. Nach 30 Sekunden, einem Bruchteil der Warte- und Durchsuchungszeit, steht man wieder im Freien und kann sich an der Kremlwand noch die Gräber anderer Sowjet-Persönlichkeiten ansehen.

Einige Tore sind uns verschlossen geblieben, z.B. die des Moskauer Kremls, des Neujungfrauenklosters, der Tretjakowgalerie während der Langen Nacht der Museen und natürlich die meines Wohnheimes (außer ein Mal, das wir sogleich zu einer Krankensiesta und zur Zubereitung von Hörnchennudeln mit roten Bohnen genutzt haben), andere haben wir uns auf russische Art geöffnet, z.B. die der MGU, „meiner“ Uni vom letzten Mal. Insgesamt haben wir mehr gesehen, als ich hier schreiben (oder zumindest hochladen) könnte. Auch aus den knapp tausend meinen Computer beschwerenden Bildern (von denen ich im Prinzip kein einziges machen musste, was für ein Urlaub!) kann ich nur eine kleine Auswahl anbieten.

Heute sind es noch genau zwei Wochen, die mir in Moskau bleiben.

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Tanja in Moskau. Von wegen „ja nje gawarju pa-russki“!( Teil 1)

Mitte Mai hatte ich die schöne und gar nicht so schwierige Aufgabe, einen „interessierten Laien“ mit Moskau, der Sprache und einem Teil des Landes, mit dem ich mich andauernd beschäftige, bekannt zu machen. Schon zu Weihnachten hatte Tanja, mein Gast aus Stuttgart sinnvolle Geschenke wie Russisch-Sprachführer bekommen, die sich auf dieser Reise als sehr nützlich erweisen sollten. Bevor das mit großer Aufregung erwartete Abenteuer losgehen konnte, musste allerdings erst noch Examen gemacht werden.

Im Flugzeug fand Tanja dann sogleich einen russischen Freund in Form eines in Würzburg lebenden Alleinunterhalters, der mit ihr die Inhalte des meines Skype-Crashkurses Russisch für Anfänger noch einmal wiederholte und sie sicher durch die Passkontrolle in Vnukovo brachte, während ich zwischen all den ägyptenverbrannten russischen Touristen nach einem bekannten Gesicht Ausschau hielt.

Nach einem kurzen Aufenthalt in der gastfeindlichen Festung am Komsomolski-Prospekt, wo wir aus Gründen der unerträglichen Willkür nicht bleiben konnten, ging es los in einen Teil des russischen Lebens, den auch ich noch nicht kannte: 10 Tage in einer echten russischen Familie, in einer echten russischen Wohnung am äußersten Rand der gelben Metrolinie. Noch bevor wir die Wohnung erreicht hatten, bekam Julia, unsere Gastgeberin einen Anruf von ihrer Mutter mit der Frage, ob wir schon gegessen hätten. In diesem Augenblick hätte uns klar werden können, unter welchem Zeichen der Aufenthalt stehen würde. Bevor Julias Mutter auf die Datscha gefahren war, hatte sie nämlich Kühlschrank, Kühltruhe und sämtliche Töpfe mit Vorräten von leckerem Essen gefüllt. Spätestens nach dem Verzehr von Fisch unter Gemüsemarinade, mit Quark gefüllten Bliny, Mayonaisse-Salaten, „Hering unterm Pelz“, Frühstücks-Kascha, Borschtsch, Dill- und Brotchips, selbstgemachten Kartoffelpiroggen, Eis an jeder Straßenecke, Auberginenvorspeisen, Wareniki und sauer eingelegten ganzen Tomaten aus tonnenschweren Einmachgläsern hatte dieses Land meinen Besuch für sich eingenommen.

In den vollen Genuss der mütterlichen Fürsorge kamen wir allerdings erst, als wir, das „schwache Volk der deutschen Studenten“  (Zitat von Julias Vater, der nach eigenen Angaben noch nie krank war, selbst als er sich als Jugendlicher mal im Herbst in einen Teich stürzte, um nicht zur Schule gehen zu müssen, sich aber einige Tage nach uns auf der Datscha kalte Füße und eine Erkältung geholte hatte, wie wir nicht ohne ein klitzeskleines bisschen Schadenfreude erfuhren) erkältet nach Hause kamen und mit einem Soforthilfetee versorgt wurden. Für alle häufigen Halsschmerzler, in deren Ohren der Salbeitee-Tip wie Hohn klingt, gibt es noch Hoffnung: Лофант oder auch Agastache rugosa. Für jeden Hinweis, wo das Kraut in Deutschland aufzutreiben ist, bin ich dankbar.

Vorher holten wir uns allerdings am einzig möglichen Tag einen Sonnenbrand – in meinem Fall ganz klar den ersten dieses Jahr. Dieser Tag, der 9. Mai, begann mit einer Militärparade, für die Moskau bereits 1,5 Monate immer wieder mit lauten und stinkenden Fahrzeugen im Stadtzentrum geübt hatte. Während vor unseren Augen die schreckenserregendsten Panzer vorüberratterten, wurden wir von unserer russischen Begleitung über sämtliche Bezeichnungen und Merkmale aufgeklärt. Meine Sorge, dass es an diesem Tag ungut sein könnte, als Deutsche erkannt zu werden, war übrigens unbegründet. Was den heutigen Russen zu uns einfiel, war entweder, dass „wir“ die besten Panzer überhaupt haben (es folgt eine Aufzählung von Namen, die ich noch nie gehört habe) oder wie tollkühn „wir“ doch gekämpft hätten, was nicht minder nervig ist. Den Rest des Vormittages brachten wir damit zu, in der weit und breit abgesperrten Stadt uns auf russische, hohe Telefonkosten verursachende Art, mit dem Rest unserer Tanzkursfreunde zu verabreden. Zu diesem Zeitpunkt war uns nicht bewusst, dass wir sie in einer bis heute noch nicht ganz aufgeklärten Geschichte von Eifersucht und Intrigen genauso schnell wieder verlieren sollten, wie wir sie gefunden hatten. Den Abschluss eines langen Spaziergangs an der Moskwa entlang, mit schwer zu verzehrendem, aber leckerem Eis (Лакомка) und ohne Papierkörbe weit und breit, bildete eine Sesselliftfahrt auf die Sperlingsberge, die von Tanja prompt zum Höhepunkt der ganzen Russlandreise erklärt wurde – und das am zweiten Tag ihres Besuches. Am Abend hatten wir kaum noch Kraft, an der Geburtstagfeier von Julias Freund teilzunehmen (höchstens als stille Beobachter dessen, wie sich so gut wie alle Gäste um den Tisch im Anschluss an das Essen auf der neuen 12-seitigen Gitarre versuchten, was auch allen – wir waren schließlich unter Russen – sehr gut gelang). Angesichts des für den nächsten Tag geplanten Ausfluges nach Wladimir konnten wir uns nur noch den Weg zum nahegelegenen Bahnhof „Hammer und Sichel“ erklären lassen und fielen erschöpft ins Bett. Dieser Zustand sollte sich auch noch die nächsten 8 Tage allabendlich einstellen.

Der Ausflug in die 166 km östlich von Moskau gelegene ehemalige Hauptstadt der Kiewer Rus begann damit, dass wir uns in die falsche Eletritschka setzen und uns freuten, dass nur eine einzige Frau außer uns im Wagen saß. Als wir den Irrtum bemerkten, hatte sich der Zug schon in Bewegung gesetzt. Ich als Reiseleitung brach innerlich in Panik aus und sah den Ausflug schon ins Wasser fallen, da die Fahrt über drei Stunden dauert und es nur einen Zug gibt, der morgens so nach Wladimir fährt, dass man abends mit dem letzten Zug wieder zurückfahren kann. Die ältere Dame neben uns gab uns die notwendigen Informationen zum Aus- und Umsteigen, schenkte uns aus Mitleid eine Banane und lud uns – sollten wir ein Alternativprogramm brauchen – zum Konzert ihres Chores ein, zu dem sie unterwegs war. Das war zum Glück nicht notwendig, denn am nächsten Knotenpunkt konnten wir in den eigentlichen Zug steigen, der eine knappe Viertelstunde später losgefahren war. Grund für das ganze Durcheinander war nämlich eine Fehlinformation der Fahrkartenverkäuferin am Ausgangspunkt unserer Reise. Schließlich standen wir also in einer überfüllten Eletritschka mit all den anderen Moskauern, die für das Wochenende Moskau verlassen wollten. Die Luft reichte kaum zum Atmen, was sich noch dadurch verschärfte, dass eine Gruppe junger Männer alle Viertelstunde im Zwischenraum zwischen zwei Waggons rauchen und im Anschluss daran eine Bierdose nach der anderen öffnen musste. Nach einer knappen Stunde wurden zwei Sitzplätze frei und wir konnten endlich stricken bzw. die deutschen Zitate aus Julias Diplomarbeit zu „Askese bei Hermann Hesse“ korrigieren.

In Wladimir angekommen fanden wir uns dank Tanjas sagenhafter und trotz meiner lausigen Orientierung im Handumdrehen zurecht. Dennoch schenkte uns ein russischer Student die Stadtplankopie, die er sich aus dem Lonely Planet gemacht hatte, weil er nicht verstehen konnte, dass wir ohne Reiseführer unterwegs waren und keine Angst hatten. Wie angenehm war es, in einer von Grün umgegebenen russischen Kleinstadt ohne Metro und Menschenmassen zu sein. Bei sommerlichem Wetter besichtigen wir diverse Kirchen und den Kreml und der Tag verstrich im Handumdrehen. Meine Verhüllung diente lediglich dazu, Sonnenbrand und –stich vom Vortag nicht zu verschlimmern. Für die Rückfahrt stärkten wir uns mit Blintschiky mit Honig, Nüssen und Smetana, und zwar in einem Café mit verspiegelter Decke, das zu edel für uns und für diesen Ort war. Auf der Rückfahrt wurden wir leider zwei Stunden lang von einer Frau belästigt, die vor langer Zeit einmal Deutsch gelernt hatte, dieses unbedingt mal wieder ausprobieren wollte und uns über den Rand ihrer großen Brille schamlose Fragen nach dem Alter unserer Mütter, dem Vorhandensein von Ehemännern und Kindern sowie der Anzahl der rauchenden Jungfrauen in Deutschland stellte, ohne sich auch nur eine unserer Antworten anzuhören.

Fortsetzung folgt unbedingt. Und die Photos. Wenn es doch nur irgendwo beständiges Internet gäbe!

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Христос воскресе – Christus ist auferstanden! (Hier erst jetzt)

Wer vergessen hatte zu feiern, konnte sich an diesem Wochenende noch den Orthodoxen anzuschließen. Bei mir im Wohnheim wurde auch schon letzte Woche gefeiert, und dazu habe ich mit zwei Taiwanerinnen, für die es das erste Mal im Leben war, Ostereier gefärbt. Die Eier haben wir in einem elektrischen Reiskocher im Dampf hartgekocht. 14 Stück auf einmal und ohne Bruch! Sehr zu empfehlen, diese Methode. Neben den mir aus Deutschland zugeschickten altbewährten Färbetabletten habe wir noch raffinierte russische „Matrizen“ verwendet, die auf der Post verkauft werden. Das sind bedruckte Plastikhüllen, die man über das hartgekochte Ei stülpt. Taucht man dieses dann auf einem Löffel liegend in kochendes Wasser, schrumpft die Hülle zusammen und passt sich exakt der Form des Ostereis an. Unsere blau-weißen Eier sahen dann aus wie aus Porzellan, aber es gibt auch andere traditionelle Muster, die an das russische Holzgeschirr erinnern (bunt auf schwarzem Grund). Ich werde gleich mal nachsehen, ob es noch Restbestände für die nächsten Jahre in Deutschland gibt. Zur Post gehe ich immer wieder gerne, nicht unbedingt um in der langen, langen Schlange zu stehen, Kugelschreiber auszuleihen, Fragen nach Postleitzahlen nicht beantworten zu können und zuzuhören, wie sich alle mit der stets einzigen Frau am Schalter anlegen, sondern um die interessanten Postkarten, Aufkleber und anderen Waren zu begutachten, die je nach Jahreszeit und Feiertag dort angeboten werden. Und natürlich um die Postkatze zu sehen, die ich für Euch fotografiert habe.

Der Ostergottesdienst in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Moskau war dagegen weniger erfreulich. Zum einen habe ich mich in der kalten Kirche mal wieder erkältet, zum anderen schien man die Ostersonntags- mit der Karfreitagspredigt verwechselt zu haben. Nach einer gefühlten Ewigkeit der Schriftlesungen auf deutsch und russisch und einer gedolmetschten Predigt (das war auf jeden Fall interessant!) stiegen Schwermut und Traurigkeit bei einzelnen Mitgliedern unserer kleinen Gruppe von Kirchentouristen ins Unermessliche und so flüchteten wir während des allgemeinen Abendmahlgetümmels hinaus in den sonnigen und schon beinahe warmen Ostermorgen. Der Gerechtigkeit halber muss ich anmerken, dass es auch in der Nacht von Samstag auf Sonntag in der orthodoxen Kirche nicht viel angenehmer zuging. Die Atmosphäre erinnerte stark an den chinesischen Markt in Moskau, wo man beinahe überfahren wird von den Händlern mit ihren Karren, die sich unter lautem Rufen (Дорога, дорога! Bahn frei!) einen Weg durch die Menschenmassen bahnen. In der Kirche neben unserem Wohnheim herrschte ein ebenso geschäftiges Treiben, und obwohl kein Platz war, um auf zwei Beinen zu stehen, hieß es ständig „Durchgang freimachen“, damit sich die verschiedenen Geistlichen auf dem vorgesehen Weg durch die Masse der Gläubigen bewegen konnten (Weihrauch ausschwenkend und den Osterruf anstimmend). Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich noch nie so viele Ellenbogen von eigentlich harmlos aussehenden Omas abbekommen habe. Da ich im letzten Semester in Berlin eine Einführung ins Altkirchenslawische besucht habe, wäre ich gerne noch ein bisschen länger geblieben, um etwas bekanntes aus der Liturgie herauszuhören, aber die Enge zusammen mit den vielen Kerzen überall um mich herum in diesem Gedränge machten es mir leicht, pünktlich zur Sperrstunde um ein Uhr wieder im Wohnheim zu sein.

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«Учиться, учиться и учиться» (ein Leninzitat)

Wie bereits angekündigt ein paar Worte zum Studieren an der Moskauer Staatlichen Linguistischen Universität, die eigentlich allen Moskauern nur unter dem früheren Namen Maurice-Thorez-Fremdspracheninstitut bekannt ist. Über lange Wege können wir uns hier wirklich nicht beklagen, denn entweder findet unser Unterricht direkt im Wohnheim drei Stockwerke über mir statt, oder aber im Hauptgebäude, das sich zu Fuß knapp 10 Minuten entfernt in der Ostoschenka-Straße befindet. Im Moment wird das Gebäude renoviert, was bedeutet, dass jede Woche ein anderes Treppenhaus gesperrt ist, man sich neue Wege suchen muss und ich mich nie dort zurechtfinden werde. Manchmal bessert eine einsame Frau Löcher in den Wänden aus und streicht mit einem Mundschutz wie beim Zahnarzt, während man sogar ein Stockwerk weiter oben vor Farbgeruch fast ohnmächtig wird. Für alle Renovierungsarbeiten an dem historischen Gebäude muss die Universität selbst aufkommen, weshalb auch alles nach und nach passiert.

Eigentlich wollte ich ja hier weniger zum Unterricht gehen und mehr an der Diplomarbeit basteln, aber was angeboten wird, ist zu interessant, um nicht hinzugehen. Nach einer undurchschaubaren Mischung aus Kriterien wie Ankunftszeit, Herkunft (Asien vs. Europa), Sprachniveau und bereits abgeleisteter Semester wurden wir in Gruppen eingeteilt, in denen die verschiedenen Dozenten teilweise die gleichen Kurse auf unterschiedlichem Niveau, teilweise spezielle Fächer und auch Vorlesungen für alle anbieten. Aus letzteren besuche ich nur die zur russischen Literatur. Der Dozent besitzt offenbar große Macht über uns. Mal bringt er uns zu der Erkenntnis, dass wir den Sinn des Lebens nicht kennen, mal dazu, nach der Vorlesung sofort in eine Buchhandlung zu laufen und Lermontow, Dostojewski oder Tolstoi zu lesen anzufangen. Mit seinen Bemerkungen zum Stolz als Todsünde hat er auch schon zerstrittene Wohnheim-Zimmergenossinen, die in den entgegengesetzten Ecken des Hörsaals saßen und jeweils dachten, er meine direkt sie, wieder zueinander gebracht. Bei aller Faszination ist aber die überall durchklingende Überzeugung, dass der Westen verloren und nur die russische bzw. orthodoxe Lebensweise eine Zukunft hat, etwas gewöhnungsbedürftig. Die Veranstaltungen für die Auslandsstudenten fangen erst ab 9.35 Uhr an, aber ein Mal pro Woche muss ich verhältnismäßig früh aufstehen, um mit den russischen Übersetzern/Dolmetschern des dritten Studienjahrs um Punkt acht Uhr eine Vorlesung zur „Allgemeinen Translationswissenschaft“ zu besuchen. Dort fühlt man sich angesichts des Verhaltens der überwiegenden Mehrheit gnadenlos in die Grundschulzeit oder Unterstufe zurückgeworfen: ein Geräuschpegel, der es unmöglich macht, auch nur ein Wort zu verstehen, Zuspätkommen im Durchschnitt so um die dreißig Minuten usw. Dass die Studenten freiwillig da sind und sich anhand ihrer Interessen und Neigungen ein Studienfach ausgewählt haben, kommt einem da nicht unbedingt in den Sinn. Natürlich wieder die alte Geschichte: wir „alten“ deutschen Studenten neben denen, die so jung sind wie wir beim Abitur. Ein offenes Geheimnis ist aber auch, dass einige Jungs deshalb studieren, um nicht den Wehrdienst ableisten zu müssen. An der Universität erhalten sie dann die Grundausbildung in wahrscheinlich angenehmerem Umfeld als sonst und werden im Falle unseres Studienfachs noch zum Militärdolmetscher ausgebildet. Ein besonders interessantes Fach ist der Übersetzungskurs bei einem hochbetagten Herrn, der jedem Russischstudierenden als Verfasser eines häufig verwendeten deutsch-russischen Wörterbuches bekannt ist. In Russland wird niemand zwangsweise in Rente geschickt, und da diese bekanntermaßen nicht sehr hoch ist, nutzen viele die Gelegenheit, weiterzuarbeiten und somit Rente und Gehalt zu beziehen. Ein Dozent, der mit 83 Jahren noch so fit ist wie Michail Jakowlewitsch, sollte seinen Studenten so lange wie möglich erhalten bleiben. Da wir ins Deutsche übersetzen, geht es trotz seiner außerordentlichen Fremdsprachenkenntnisse weniger um das Endprodukt als darum, was wir in diesen anderthalb Stunden über Russland, den Ausgangstext und die deutsche Vergangenheit erfahren können.

Um in Ruhe arbeiten zu können, habe ich mir die Bibliothek für ausländische Literatur, von den Studenten Inostranka (die Ausländerin) genannt, ausgesucht. Von der Ringstation Taganskaja, meiner Lieblingsstation mit den hellblau-weißen Matrosen, läuft man dorthin etwa zehn Minuten vorbei an einer wunderschönen Kirche, zweistöckigen Häusern und einem Krankenhaus, das unserer Uni etwas ähnlich sieht. Nach einer nur fünfminütigen Registrierung war ich als Nutzer aufgenommen – mit der Metro-Monatskarte als Leseausweis und völlig kostenlos. Im Gegensatz zur Lenin-Staatsbibliothek (Leninka) ist es auch ohne Probleme möglich, den eigenen Computer mitzubringen und ohne Strafandrohung die Steckdosen zu verwenden. Wer vergessen hat, wie solche Dinge funktionieren (oder es noch nie wusste), kann sich in der Inostranka im Umgang mit Zettelkatalogen und Computern mit DOS-Benutzeroberfläche üben. Von den Damen, die in der Bibliothek arbeiten und Aufsicht führen, erhält man die benötigten Informationen mit etwas Beharrlichkeit, aber meistens auf freundliche Art und Weise. Und nicht zuletzt sitzt es sich sehr gemütlich in der Sonne am Fenster zwischen meterhohen Wolfsmilchgewächsen, liebevoll umhegten Usambaraveilchen und anderen Zimmerpflanzen. Ein weiterer Vorteil sind die Öffnungszeiten der Inostranka, wo man sich auch samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr einfinden kann. Am Wochenende muss man allerdings auf die kleine, feine Mensa verzichten, in der eine nette Essensdame an der Kasse neben einem Plakat mit der Aufschrift Anständig verkaufen ist eine ehrenhafte Arbeit steht und geduldig darüber Auskunft gibt, womit die zahlreichen Piroggen und Gebäckstückchen gefüllt sind. Außerdem sind im Bibliotheksgebäude einige Kulturinstitute untergebracht (Frankreich, Japan, USA, Kanada), weshalb in den Fluren oft interessante Dinge wie Die schönsten Bücher Japans oder Comics zu Liedern von Jacques Brel ausgestellt werden.

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Märzwinter

Eigentlich wollte ich dieses Mal vom Studieren berichten, damit nicht der Eindruck entsteht, dass das überhaupt nicht stattfindet. Dazu fehlen mir aber noch ein paar mit Sicherheit verbotene Innenphotos bestimmter Einrichtungen, die ich gerne noch machen möchte, damit ein vollständiges Bild entsteht.

Stattdessen reiche ich ein paar Photos von unserem Ausflug nach Peredelkino nach, den wir schon ganz am Anfang meiner Zeit hier gemacht haben, als Naselie, meine Vorgängerin von der Humboldt-Uni, noch hier war. Außerdem dabei waren noch Anna, Fast-Volljuristin auf Wahlstation, die leider am Sonntag schon wieder nach Berlin heimkehrt sowie zwei die Welt bereisende Australier, die Naselie im Siegespark aufgegabelt hat und die das Glück hatten, von ihr zwei Wochen durch Moskau und Umgebung begleitet zu werden. Was das Wetter angeht, passen die Bilder dazu, dass es bei uns die letzten Tagen wieder ein bisschen geschneit hat, obwohl nach den Worten einer unserer Dozentinnen alle im Volksglauben bekannten Vorzeichen auf einen frühen Frühlingsbeginn hindeuten.

Peredelkino, ein ehemaliger Adelssitz, der in den 30er-Jahren in den Besitz des Schriftstellerverbandes der UdSSR überging, befand sich einmal außerhalb von Moskau im Grünen. Heute ist die Stadt so weit gewachsen, dass sie mehr oder weniger direkt in die Datscha-Siedlung übergeht. Die Fahrt dorthin im Elektritschka genannten Vorortzug kostet auch weniger als ein Einzelfahrschein für die Moskauer Metro und dauert nur etwa 20 Minuten, die sehr schnell vergehen, weil ein fliegender Händler den anderen ablöst und unter Umständen auch ein Veteranenchor mit Gitarren auftritt und vom Krieg singt. In Peredelkino befindet sich neben den (Sommer)häuschen einiger bekannter Schriftsteller auch die Sommerresidenz des Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche. In den Museen äußerte sich die russische Willkür so, dass wir gegen (allerdings nicht sehr hohes) Eintrittsgeld von einer älteren Dame durch das Pasternakhaus gescheucht wurden und kaum stehenbleiben durften und im Tschukowski-Haus völlig kostenlos an einer über einstündigen Führung teilnehmen konnten, die uns mindestens genauso begeisterte wie die beiden in der Gruppe anwesenden Kinder, für die sie wohl eigentlich zugeschnitten war. Diese kannten – wie wahrscheinlich alle russischen Kinder und diejenigen, die es einmal waren – auch alle Texte des berühmten Autors von Kinderbüchern (aber nicht nur) auswendig. Mir selbst war leider nur die Fliege „Mucha-Zokotucha“ ein Begriff, die 2006 beim Übersetzungsworkshop in Tula sehr liebevoll ins Deutsche übertragen wurde und als ein anderes Insekt, das mir im Moment nicht einfällt, dort ankam.

Eine andere kleine Exkursion führte mich an die MGU, die Lomonossow-Universität, wo ich vor zwei Jahren mein erstes Moskauer Auslandssemester verbracht habe. Das mächtige Gebäude, eine der „Sieben Schwestern“, Hochhäuser aus der Stalinzeit im Zuckerbäckerstil, steht noch. Die „Ausländeretage“ ist eindrucksvoll renoviert wurden, aber es ist auch schon zu erkennen, das dieser neue Zustand nicht lange so anhalten wird. Die ersten Tapetenbahnen lösen sich bereits wieder ab. Im Stadion, wo ich damals meine Runden drehte, müssen die Studenten der jüngeren Jahrgänge derzeit Skilanglauf machen. Ich stand ein bisschen neidisch daneben, erinnerte mich aber an die Worte von Julia, nach deren Angaben das alles andere als ein Vergnügen war. Neben dem Hauptgebäude wurde gerade eine riesengroße Skischanze wieder abgebaut. Man konnte von unten nur erahnen, mit welchen motorsägeähnlichen Geräten die winzigen Figürchen dort oben damit beschäftigt waren, Schnee und Eis zu entfernen. Die Schanze war allerdings nicht für den Sportunterricht der Studenten errichtet worden, sondern für eine Art Valentinstagsspringen und irgendwelche anderen Großveranstaltungen.

Mitte letzter Woche habe ich dann im Wohnheim meinen Geburtstag gefeiert. Einen kleinen Eindruck davon vermittelt das internationale Buffet mit russischem Fastensalat, dem Versuch von georgischen Chatschapuri, einem feinen Gericht aus Taiwan, das ich noch kochen lernen muss, und zwei konkurrierenden deutschen Käsekuchen ohne Boden. Ich sage es

wahrscheinlich nicht zum ersten Mal, aber die Leute hier sind wirklich prima! Es waren auch ein paar „externe“ Gäste da, obwohl sich der Wohnheimdirektor immer sträubt und windet, wenn wir von diesem Recht Gebrauch machen wollen. Leider ist dazu seine Unterschrift nötig, und will man die einholen, muss man sich Vorträge über Brandgefahr durch Rauchen, über Lärmbelästigung und über hochprozentige Getränke anhören, gefolgt von der Aufforderung, in Zukunft niemanden mehr einzuladen bzw. dem Hinweis, dass die Besuchsregel nur für Verwandte gelte. Das alles wäre weitaus weniger ärgerlich, wenn die hier Beschäftigen nicht selbst sogar in der Küche rauchen würden, nicht jede Nacht bis in die Puppen Karaoke unter uns stattfinden würde und manche Wachmänner weniger dem Alkohol zugetan wären.

Neben Blumen, Büchern und Strickaccessoires für Anfänger und Fortgeschrittene bekam ich eine Flasche Wein geschenkt, der so heißt wie ich. Was wäre wohl besser: nach einem Auto aus dem Hause Borgward benannt zu sein oder nach einer in der Sowjetunion sehr beliebten Trauben- und Weinsorte???

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Auferstanden (pünktlich zum Ende der Butterwoche)

Endlich, endlich ist die Moskauer Grippe an mir vorbeigezogen und ich kann wieder am Leben teilnehmen. Während der Zeit im Fieber durfte ich zunächst die Bekanntschaft mit einer russischen Ärztin vom Notdienst machen, den Mascha I aus dem Moskauer Umland verständigte, wo auch ich mich am letzten Wochenende eigentlich befinden wollte, anstatt hier rumzudämmern. Die freundliche Frau erinnerte mich stark an meine Dozentin des zweiten Semesters FU-Propädeutikum und empfahl mir eine abscheuliche Medizin gegen Husten: warme Milch mit Sprudelwasser! Dazu verschrieb sie mir noch ein Medikament, das in China und Russland gegen Grippe eingesetzt wird, weil russische Studien erwiesen haben, dass es wirksamer als anderes oder gar nichts ist. Später erschienen mir im Fiebertraum noch ein junger Arzt aus der zuständigen Poliklinik mit Frauenhandtasche, der die Dosis des russisch-chinesischen Medikaments auf das Vierfache erhöhte sowie Chiaowen aus Taiwan mit einem Stück Kuchen. Das war zum Glück auch noch da, als ich wieder aufwachte. Ansonsten habe ich noch nützliche neue Wörter von Gliederschmerzen über Schüttelfrost bis Schwindel gelernt. Nach viel Tee und Granatapfelsaft, o.g. Medikament und einem russischen homöopathischen Mittelchen bin ich nun wieder auf den Beinen, wenn auch noch nicht voll bei Kräften. Dafür habe ich ein komplettes Buch von Ludmila Ulizkaja durchgelesen (jeweils zwei Seiten im Wechsel mit zwei Stündchen Schlaf), eine neue Hörspielreihe vom Rias kennengelernt (Professor van Dusen) und die beerenfarbenen Socken fertiggestrickt, deren Schwesterpaare jetzt durchs Baskenland stapfen bzw. in Berlin – ja, was eigentlich machen?

Deshalb wurde gestern eine Exkursion zum Moskauer Wollladen „Semjonowskaja Prjascha“ veranstaltet, der durch meine Berichte bereits in weiten Teilen Westeuropas bekannt ist. Dabei stellte sich heraus, dass dieser zwar mächtig umgebaut wurde, die Regale und Inhalt (bunte Wollknäuel mit Namen Olga, Natascha usw.) aber weitgehend gleichgeblieben sind und dass es hier keine spezielle Sockenwolle gibt. Das Sortiment wurde noch um eine breite Masse Stickvorlagen von zweifelhafter Schönheit erweitert, doch angesichts der ganzen Ikonen und russischen Sehenswürdigkeiten (sogar die Moschee von Kasan) im Kreuzstich könnte man sich glatt ein neues Hobby suchen. Ich habe jedoch nicht vergessen, dass ich aus anderen Gründen hier bin, und was ich eingekauft habe, ist nur für gesellige Abendstunden bestimmt und kann hier leider nicht näher erörtert werden, da sich die „Zielgruppe“ unter der Leserschaft dieser Zeilen befindet.

Da ich also den Großteil der letzten zwei Wochen in meinen vier Wänden bzw. im Bett verbracht habe (in Gesellschaft der Bettkatze aus dem Hause Strauß ohne 1902), will ich ein paar Bilder aus dem nächsten Umfeld nicht länger vorenthalten. Nachdem ich mein Zimmer ca. drei Mal umgeräumt und den Schreibtisch so platziert habe, dass ich die vorbeifliegenden Internetwellen so gut wie möglich erhaschen kann, ist es nun eigentlich ganz gemütlich. Der hängemattenartigen Matratze habe ich durch ein überflüssiges Regalbrett wieder ein wenig Form verliehen, und ich hoffe, dass dieses nicht so bald zerbricht wie die drei Bretter, mit denen sich meine Vorgänger offensichtlich zu helfen versuchten. Der Rest dürfte allen, die schon mal ein Moskauer Wohnheim von innen gesehen haben, bekannt vorkommen. Interessant ist hier der schwenkbare Wasserhahn und die Duschkonstruktion, mit der ich mich nicht nur einmal versehentlich in voller Montur nassgemacht habe, weil jemand nicht auf Wasserhahn umgeschaltet hat und ich selbst wohl nicht bei der Sache war. Hier wird zwar auch einiges selbstgebaut (beispielsweise aus leeren Allzweck-Wasserkanistern) wie in manchen australischen Haushalten, aber eine Erfindung wie die Klopapierkonstruktion mit dazugehöriger Selbstporträt-Galerie der Rollenbesitzer war mir neu.

Während nun in Deutschland schon tapfer gefastet wird, wurde heute trotz Schneetreiben der Frühlingsbeginn und das Ende der Festwoche vor der großen Fastenzeit gefeiert. Dazu machte sich eine große Wohnheimgruppe abzüglich der Leute, die jetzt Magen-Darm-Grippe haben, auf nach Kolomenskoje, einem großen Park und Freilichtmuseum, wo sich halb Moskau versammelt hatte, um spazierenzugehen, zu rodeln, Bliny (Pfann- bzw. Eierkuchen) zu essen und mit einer Art Honigwein auf den Frühling anzustoßen. Die Gruppe hatte aufgrund ihrer unübersichtlichen Größe ständig Verluste zu vermelden, wurde aber gleichzeitig durch dazustoßende Grüppchen von russischen Freunden, Kommilitonen und Reisebekanntschaften aufgefüllt. Einige todesmutige Studenten stürzten sich auch ohne Schlitten oder Plastiktüten unterm Hintern wie die Kinder im praktischen Ganzkörperschneeanzug die Abhänge in Richtung der Moskwa hinunter. Andere froren bereits und begnügten sich aus Angst vor nassen Klamotten damit, das Spektakel zu photographieren. Als unterwegs weitere Fälle von Unwohlsein auftraten, brachen einige den Ausflug vorzeitig ab. In der Apotheke um die Ecke, die praktischerweise rund um die Uhr geöffnet hat, waren die Kohletabletten ausverkauft. Es scheint sich also nicht nur das halbe Wohnheim, sondern auch halb Moskau im Moment mit Durchfall zu plagen. Ich selbst habe übrigens vor, ab jetzt gesund zu bleiben

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Zwei Welten

Es gibt immer noch zwei Welten hier, die sich nicht mit einander vereinbaren lassen wollen. Das Wohnheimleben ist sehr angenehm. Wie konnte ich das vergessen. Mit mir wohnen lauter Leute, die man zu Hause kaum kennenlernen würde: jede Menge asiatische Studenten, Spanischdozenten, die kaum ein Wort Russisch sprechen, Russen, die im Außenministerium arbeiten und das Wohnheim ihrer Studentenzeit noch nicht verlassen haben, Amerikaner auf Forschungsreise und so weiter und so fort. In den nächsten Tagen wird noch eine tschechische Fraktion erwartet. Russisch als Verkehrssprache ist mir als „Wessi“ immer noch eine unglaubliche Sache – aber es funktioniert, auch wenn mir jeden Abend sämtliche Sprechwerkzeuge von der ungewohnten Belastung wehtun. Zwischen den meisten Bewohnern dieser eher unattraktiven vier Wände herrscht eine hinreißende und vorbildliche Hilfsbereitschaft und Kontaktfreude. Wir nutzen eifrig die Küche, in der es sogar Backöfen gibt, und zwar nicht nur als Großraumbüro, weil dort das Internet besser als in den meisten Zimmern einzufangen ist. Und war ich vor zwei Jahren noch als Stricklehrerin in Moskau unterwegs, so kann ich dieses Mal Fortbildungen bei einer Juniorprofessorin besuchen, die mir beibringt, dass Knoten beim Beenden eines Strickstückes nichts zu suchen haben (ich hoffe, meine bisherigen Lehrer hören nicht so genau hin).

Weniger heimelig ist es allerdings sobald man das Wohnheim verlässt. Bislang gab es jede Menge Ärger und Unerfreuliches, so dass ich gar nicht so richtig davon berichten mag. Also nur eine kleine Auswahl. Schlechte Nachricht Nr. 1: die Möglichkeit, Gäste gegen Bezahlung im Wohnheim unterzubringen, wurde zum Februar 2009 bis auf Weiteres abgeschafft. Angeblich können wir mit viel Glück zwischen 8 und 23 Uhr Besuch mitbringen. Leider haben diejenigen, die schon länger hier sind, andere Erfahrungen gemacht. Gefängnisatmosphäre also und Wachleute, die mit ihrer Macht spielen. Wer bis eins nicht zu Hause ist, muss eben bis morgens um sechs irgendwo durchmachen. Gut, dass ich das zuletzt in Berlin etwas geübt habe. Trotzdem könnte man hier fast vergessen, dass man eigentlich ein erwachsener Mensch ist. Ansonsten ist auch die Aufenthaltssituation nicht ganz geklärt. Hier geht man davon aus, dass ich am 3.6.2009 wieder ausreise und will auf keinen Fall das Visum darüber hinaus verlängern. In Berlin war davon nie die Rede, sondern es hieß, dass das Semester bis Ende Juni dauert, weshalb ich auch für diesen Zeitraum mein Zimmer untervermietet habe. Es ist zwar anzunehmen, dass sich alles irgendwie aufklären wird, aber bisher hat diese Geschichte schon Gespräche mit so denkbar unfreundlichen Leuten mit sich gebracht, dass es mir die ohnehin noch irgendwo vergrabene Sprache verschlagen und stattdessen die Tränen ins Gesicht getrieben hat. Wem es in Deutschland bisweilen zu rau zugeht, sollte eine Reise in dieses Land machen. Man steht nur da, staunt und fragt sich, was irgendjemand davon haben kann, mit anderen so umzugehen. Auch das ist schwer in Einklang zu bringen mit der anderen Seite, die man bei denen zu Gesicht bekommt, die man persönlich kennt. Was das sich-zurechtfinden in dieser Welt angeht, kann es jedenfalls nur besser werden. Ich möchte nicht einstimmen in den Chor derer, die sagen, dass man in diesem Land nicht leben kann, und die ohnehin oft in der Überzahl sind. Ich wünsche mir so, dass es für mich auch weiterhin das Land bleibt, in dem Kefir und Honig fließen! Vielleicht sollte ich deshalb gar nicht erst anfangen, davon zu erzählen, dass man in der Lenin-Bibliothek zwar in einen der vielen Lesesäle den eigenen Computer mitbringen, ihn aber nicht in die im Übermaß vorhandenen Steckdosen einstecken darf! Wie auch immer, der Arbeit und dem Studium kann ein irgendwann ein eigener Beitrag gewidmet werden, wenn ich mich mehr damit auskenne.

Zum Abschluss kann ich noch sagen, dass ich mir einen neuen Sport gesucht habe (die Laufschuhe mussten aufgrund der zentralen Wohnlage zu Hause bleiben) und im Tanzverein Grazia MGU „meiner“ letzten Moskauer Uni nun in vier Stunden pro Woche versuche, Standard- und lateinamerikanische Tänze zu erlernen. Angestiftet dazu wurde ich von Mascha II, der ich in den ersten Tagen hier bei einem Tanzwettbewerb zugesehen habe. Besonders fasziniert hat mich dort ein Kinderpaar, das die Grundschule noch nicht hinter sich hatte und sich wie alte Hasen über das Parkett bewegte. Aber auch die Aufmachung der etwas älteren Konkurrenten (bis 14 Jahre) war durchaus interessant. Ich weiß, in Deutschland sehen die Leute bei solchen Anlässen wohl ähnlich aus. Dennoch wurde mir spätestens dort klar, dass ich jetzt in Russland bin. Bei den Latein-Kostümen konnte man dann die männliche Variante von „Taufkreuz im tieeeeefen Ausschnitt“ bewundern (die zugegebenermaßen weniger spektakulär ist als die weibliche). Ich selbst erhoffe mir von dieser neuen Aktivität natürlich insgeheim, mich in der Kunst der landestypischen Fortbewegungsweise auf hohen Absätzen zu verbessern.

Das sind nun viele Worte geworden. Dafür wird es wohl bei eher seltenen Meldungen bleiben. Bitte keine weiteren Beschwerden darüber ; )

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Erste Moskautage

Nach zwei sehr schönen Abschiedswochen in Berlin, die mich noch einmal (oder mehrmals) mit den verschiedensten Leuten zusammengebracht haben, wurde ich sehr nett von Lida (die letztes Mal mit mir in Moskau war und irgendwie auch dieses Mal hier überall ist, obwohl sie eigentlich in Berlin sitzt) zum Flughafen begleitet. Es war kein überstürzter Aufbruch, und bisher ist mir auch noch nichts wesentliches aufgefallen, das ich vergessen habe. In Moskau wurden Dominika, die andere Studentin aus Berlin, und ich auch abgeholt, zweifach sogar. Geplant (von Mascha II) und überraschend (von einer Theologie-Studentin namens Lena, die uns die Uni geschickt hat). Im Wohnheim ist alles sehr trostlos, jedes Möbelstück fällt irgendwie auseinander, jede zweite Lampe brennt nicht. Dafür waren die bürokratischen Maßnahmen wie Registrierung und Erstellung des Studenten- bzw. Wohnheimausweises schneller erledigt als erwartet. Zunächst wurde ich mit Dominika in einem Zimmer untergebracht. Und natürlich in einem Block (sozusagen eine Zweizimmerwohnung bestehend aus einem Einbett- und einem Zweibettzimmer und Toilette sowie Bad) mit einer weiteren Deutschen, wie es hier die Regel ist: schön nach Nationalität geordnet. Wir haben dann einige Argumente für den Umzug in andere (getrennte) Zimmer gesammelt: Dominikas Asthma und Allergien, die sie nachts nicht schlafen, sondern hustend und schniefend am offenen Fenster auf und ab gehen lassen, so dass auch für andere an schlafen nicht zu denken ist, meine Diplomarbeit, die hier geschrieben werden soll, was an einem geteilten Schreibtisch nicht so gut vorstellbar ist und schließlich dass wir gerne mit Leuten zusammenwohnen würden, mit denen wir Russisch sprechen müssen. Das letzte Argument leuchtete der Chefin der Wohnheimverwaltung am wenigsten ein. Ebenso wenig dass wir kein Problem damit haben, mit Asiaten den Block zu teilen, was hier als für Europäer unzumutbar gilt. Nach einer langen Suche in der mit Bleistift und Radiergummi geführten Liste aller Zimmer auf sechs Stockwerken fand sich für Dominika ein Platz bei zwei Chinesinnen und für mich einer bei zwei Mädchen aus Taiwan, von denen die eine derzeit in Ägypten Urlaub macht. Es folgten noch ein paar Sprüche wie dass wir den Chinesen Sauberkeit beibringen sollten etc. Überhaupt ist es ärgerlich, mit welchem Ernst uns Regeln zur Kenntnisnahme und Unterschrift vorlegt werden wie z.B. Ordnung und Reinlichkeit walten zu lassen, nicht die Möbel, Gardinen und Tapeten zu beschädigen und keine Bilder aufzuhängen – und das in einem Wohnheim, das in einem solch desolaten Zustand ist. Dass ich mich darüber noch aufregen kann zeigt, dass die zweifelhafte Tugend, alles so zu nehmen, wie es ist und das Beste daraus zu machen bei mir noch nicht komplett die Überhand gewonnen hat. Nachdem ich die Ohrenstäbchen und anderen Hinterlassenschaften meiner Vormieterin entfernt habe, bewohne ich nun ein Zimmer, in dem es sich wohl die nächsten fünf Monate aushalten lässt. Aus meinem Fenster sehe ich auf eine wunderschöne kleine Kirche, deren Namen ich vergessen, die ich aber mit Sicherheit schon einmal von innen gesehen habe. Meine eine Nachbarin, die ich schon kennengelernt habe und die die ruhigere der beiden sein soll, ist sehr freundlich und kann noch nicht so viel ruhig. Sie macht nicht den Eindruck als bräuchte sie jemanden, der ihr Sauberkeit beibringt, auch wenn sie vielleicht ein bisschen andere Vorstellungen davon hat. An den meisten Dingen, wie dem nicht abfließenden Wasser in der Dusche, kann man wohl tatsächlich nichts (mehr) ändern. Bis heute morgen konnte man auf unserem Klo auch erfahren, wie es sein muss, blind zu sein, weil das Licht weder dort noch im Flur davor funktionierte und man sich in absoluter Finsternis zurechtfinden musste. Aus diesem Grund war ich jeden Tag bei der Hausmeisterin. Heute kam dann ein Mann im Anzug mit Anstecker der Putin-Partei am Jacket, der zusammen mit seinem Sohn, einem Jungen in typischer Wohnheimbekleidung (Jogginghose, Badelatschen, Fleecejacke) kurzerhand alles reparierte (der Lichtschalter war das Problem).

Bisher ist das Wohnheim noch ziemlich ausgestorben, weil viele Studenten noch nicht angereist sind. Im Moment sind auch noch Ferien, aber am Montag beginnt die Uni und da sich im 7. Stock des Wohnheims auch einige Unterrichtsräume der Theologischen Fakultät und der deutschen Abteilung befinden, wird wohl bald etwas mehr Leben hier einkehren. Ich frage mich, ob dann auch das Licht auf den Gängen eingeschaltet wird, denn im Moment ist es sehr schummrig und man sieht kaum bis zur nächsten Tür.

Denjenigen, die sich vorrangig für das Wetter interessieren, kann ich sagen, dass es nicht viel kälter ist als im deutschen Winter, derzeit etwa minus fünf Grad. Seit ich da bin hat es ein bisschen geschneit und nun ist auf den Dächern alles weiß und unten auf der Straße alles grau und rutschig. Der Winter zwingt mich, meinen einmal als preußischen Stechschritt verunglimpften Gang ein bisschen zu verlangsamen. Bis zur Uni sind es aber auch so maximal zehn Minuten. Bisher war ich recht viel zu Fuß unterwegs, weil ich eine schlechte Orientierung habe und mich kaum an die Straßen und Zusammenhänge dieser Stadt erinnern kann. Ansonsten habe ich die Uni besichtigt (Stundenplan wird aber erst am Montag ausgehängt), eine Metrokarte für Studenten beantragt und mir Leseausweise für die Unibibliothek und die Russische Staatsbibliothek (Lenin-Bibliothek) besorgt. Letzterer kostet 100 Rubel (ca. 2,20 €) und gilt für die nächsten fünf Jahre. Davon kann man als Nutzer der Stabi Berlin nur träumen. Allerdings darf man hier die Bücher auch nur im Lesesaal verwenden und nicht nach Hause nehmen.

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